Ein Meilenstein!

Mathilda hat heute erstmals aus der Spritze getrunken und festgestellt…

JA! DAS ist ECHT GIERIG!
Warum habe ich das nicht eher gemacht?

Ich sah es förmlich in ihren Augen, wie das Köpfchen beim Schlotzen ratterte. Und immer wieder langte sie mit dem Schnabel noch einen Tropfen und noch einen…


Mathilda und Paulchen brauchten sehr viel mehr Zeit als bisher alle anderen Neuzugänge. Und das seit wir das Spritzentraining vor über 10 Jahren begannen! Die Beiden waren anfangs nicht nur sehr scheu, sondern richtig panisch, wenn sie mich sahen. Sie lösten teils auch bei den anderen Panik aus. Da brauchte es noch nicht einmal eine Spritze, es reichte meine blanke Anwesenheit. Und wehe, ich bewegte mich auch noch… und sei es nur in Zeitlupe.

Eine besondere Geschichte

Also galt es, ihnen erst einmal die Angst vor mir zu nehmen, damit ich alltägliche Arbeiten (z.B. Reinigung und Anbringen neuer Beschäftigung) gut und möglichst ohne Massenpanik durchführen kann. Das sind einfach Dinge, die sein müssen.

Natürlich trainierten die Alteingesessenen weiterhin mit der Spritze, denn ein stetes Training ist einfach wichtig für den Ernstfall. Das muss gar nicht täglich sein, aber dennoch stetig. Bekommt ein Vogel täglich Medizin, ist das Training eh inklusive, denn die Placebo-Spritze gehört dazu, damit alle was bekommen dürfen. Andernfalls gäbe es hier wohl eine Massenschlägerei.

Sissi hatte das schon kurz nach ihrem Einzug schnell verstanden und auch angenommen. Ein großes Glück, denn sie bekommt täglich Medizin und muss nicht dafür eingefangen werden. Bei Opa Strolchi, E.T., Lise und Oskar ist das ohnehin schon lange kein Thema mehr.


Ich spreche regelmäßig mit jedem Einzelnen, heute mal mit Mücke, in der Nähe saß Sissi. Mücke zeigte mir deutlich mit Gesten: „ist ja schön, dass du mit mir redest, aber hast du mir auch was mitgebracht?!“. Im Hintergrund sah ich von Sissi ebenfalls diese Gesten. Aha, es ist also Zeit für Medizin? So sei es, denn auch Mücke bekommt Medizin.

Heute war etwas anders als sonst…

Ich sah: oh, die Trainings-Spritzen müssen heiß ausgewaschen werden und wollte das nur mal schnell nebenbei machen. Der Mücke wurde langsam ungehalten, denn das dauerte wohl doch zu lang. Also hoppste er aufs Gatter und zeigte damit seine absolute Ungeduld…

Ich sputete mich und es gab eine Runde Medizin für Mücke und Sissi und wie gewohnt auch Placebo-Wässerle zum Nachspülen. Jetzt wollten natürlich die anderen auch was haben. Der E.T. hampelte schon ungeduldig herum, genau wie Lise…

Das ist mein Satz, den ich dann immer sage. Sie kennen das und wissen: es wird keiner vom Ast geschubbst, nicht gehauen und nicht Tropfen aus anderer Leutes Schnabel geklaut. ALLE kriegen was!

„Alle kriegen was!“

Die letzten Tage zeichnete sich immer mal wieder ab, dass auch Paulchen Interesse hätte, einmal war es schon sehr knapp. So auch heute. Opi und Oskar bekamen ihre Tröpfle auf dem Gatter sitzend und Paulchen wollte dazu kommen. Damit es ihm leichter fällt, legte ich mich schnell in die Faulhalde und ließ nur die Hand mit der Spritze oben. Er kam tatsächlich herunter geflogen. Ich glaube, er war selbst über seinen Mut überrascht und flog gleich wieder weg. DAS war jetzt neu! So weit herunter und in meine Richtung fliegend ist tatsächlich sehr sehr mutig!

Nun war er ja wieder weg und ich gab nochmal eine Runde an alle aus, fragte auch Mathilda, ob sie möchte. Das war all die Zeit immer Pflichtprogramm, dass ich ihnen die Spritze hochhaltend zeige und inklusive geeigneter Gesten dazu sage: wollt ihr auch was? Ihr müsst aber nicht! Eine sehr gute Basis für Vertrauen. Sie verstehen zwar nicht meine Worte, wohl aber die Gesten.

Meine Hand mit Spritze war heute für dieses Angebot schon in Mathildas Nähe, als E.T. darauf landete und gierig Tröpfle wegschmatzte. Ich untermalte das mit Schmatzen, während ich mit E.T. langsam Mathilda immer näher rückte, ihre Körpersprache wohl im Auge behaltend: solange sie neugierig und interessiert schaut, kann ich näher gehen. Solche Versuche startete ich schon öfters, aber Mathilda hatte weder zu den anderen Leutchen, noch zu mir Vertrauen. Da haben sich nun offenbar mehrere Knoten auf einmal gelöst. Das ist aber auch nicht verwunderlich, denn mittlerweile waren ja auch neue Freundschaften im Schwarm entstanden und Mathilda und Paulchen entspannten sich zunehmend.

Das Eis war geschmolzen!
Und sie schmatzte nicht nur einen Tropfen weg, sondern gleich ganz viele *grins*. Siehe erster Abschnitt.

Gibt es dafür ein Rezept?

Um das Vertrauen von Wellensittichen zu bekommen, braucht man folgende Zutaten: Empathie, Geduld, Respekt und Verständnis für die Bedürfnisse der schlauen Vögel.

Beim Vertrauen ist das wie bei Geschenken, die von Herzen kommen: die gibt man in der Regel nur guten Freunden, nahestehenden Menschen, die man gerne mag und zu denen man auch Vertrauen hat. Eine echte Freundschaft muss wachsen, die gibt es nicht zu kaufen oder per „Klick“ im Netz. Damit wären wir auch schon bei der zweiten und dritten Zutat, die ich wohl kaum näher erläutern muss: Geduld und Respekt.

Mit der vierten Zutat könnte ich wohl Bücher füllen: Bedürfnisse der schlauen Wellensittiche erkennen und eine angemessene Haltung bieten. Schau dich einfach im Blog um, denn da gibt es jede Menge nachzulesen…

So jedenfalls sehe ich die Beziehung zwischen mir und den kleinen Leuten. Ich respektiere sie und ihre Bedürfnisse und Wünsche, genau wie ich jedes andere Lebewesen respektiere. Das merken sie und schenken mir früher oder später ihr echtes Vertrauen. Das ist nicht durch Handaufzucht schon ins Nest gelegt worden, sondern langsam und auf gesunder Basis gewachsen.

Besonders Vögelchen aus zweiter Hand bringen alle ihr Päckchen mit. Das muss nicht zwingend was schlechtes sein, so wie bei Paulchen und Mathilda: sie kannten vorher einfach das Zusammenleben mit Menschen im gleichen Raum nicht.

Den Begriff verwende ich nicht dafür, denn dieser ist meist eher negativ behaftet, weil er oftmals im Zusammenhang damit steht, dass der Wille des Vogels gebrochen werden soll, damit er sich dem Menschen zuwendet. Die nicht selten empfohlenen Methoden dafür sind allesamt strikt abzulehnen: Handaufzucht, Einzelhaltung, Futterentzug, Bedrängen, Bestrafen…

Ist das „zähmen“?

Ich sehe hier einen ganz klaren Unterschied zu meinem Umgang damit und was ich für die kleinen Leute gerne erreichen möchte: ein entspanntes und zufriedenes Leben. Sie sollen sich im Rahmen meiner räumlichen Möglichkeiten jederzeit frei bewegen dürfen und – bis auf wenige Ausnahmen – selbst entscheiden können, was sie tun möchten. Die Ausnahmen sind Besuche beim vogelkundigen Tierarzt. Die tägliche Reinigung, freiwillige Einnahme von Medizin, Stöckchentaxi für nötige Transporte im Raum, u.a. sollen so stressfrei als irgend möglich für sie sein und immer auch auf freiwilliger Basis ablaufen.

Unsere kleine Anleitung zum Spritzentraining >>